Pebble hat die 2016er Katze mit dem Pebble Core und zwei neuen Smartwatches aus dem Sack gelassen. Jetzt fragen sich alle: Sieht so die Wearable Zukunft aus? Unsere Meinung zu den neuen Pebble Geräten.
Eines ist schon mal sicher: Pebble hat die Erwartungen mit gleich drei neuen Geräten, darunter 2 Smartwatches und das Universal-Device Pebble Core, weit übertroffen. Nachdem vor einigen Tagen ein ominöser Countdown auf der Pebble Website gesichtet wurde, spekulierte die Technik-Welt wild. Bei all den Spekulationen wurde eins jedoch schnell deutlich: Weniger als eine neue Smartwatch wäre eine herbe Enttäuschung gewesen. Dass es am Ende drei neue Geräte wurden, damit hätte wahrscheinlich niemand gerechnet, der nicht im Vorfeld eingeweiht war. Den WOW-Effekt hat Pebble mal wieder gut inszeniert.
Ein kluger Schachzug war, den Countdown erst 2 Tage vor der Präsentation der Pebble 2, Pebble Time 2 und der Pebble Core Box anzusetzen. So kam allein die Info, dass überhaupt etwas Neues von Pebble erscheint, recht überraschend. Die Info über die neuen Devices ist im Vorfeld auch nicht durchgesickert und wurde auch nicht bewusst platziert, wie es so oft bei Samsung, Huawei oder Apple der Fall ist. Das Ratespiel steigerte sich dadurch in neue Sphären, allerdings stiegen dadurch auch die Erwartungen.
Dann kam der große Knall. Eine neue Kickstarter-Kampagne. Ok, das war zu erwarten. Das Unternehmen hat bisher all seine Produkte über Crowdfunding finanzieren lassen. Eine Kickstarter-Kampagne für gleich drei Wearables? Das war schon mehr als überraschend. Zumindest auf den ersten Blick. Klingt ja schon gut, wenn man sagen kann, dass man an einem Tag nahezu die komplette Produktrange auf ein neues Level gehoben hat und ganz nebenbei noch ein neues, individualisierbares Wearable namens Pebble Core auf den Markt gebracht hat, das für Technikbegeisterte etwa so spannend ist wie für eine Katze ein Lavendel-Kissen. Natürlich sind nahezu alle Tech-Portale sofort darauf angesprungen.
Kurze Zwischenbemerkung: Falls ihr noch nichts über die beiden neuen Smartwatches Pebble 2, Pebble Time 2 und die Pebble Core Box wisst, empfehlen wir als Info-Basis unsere ausführliche Produktvorstellung im Artikel „Alle Infos zu Pebble 2, Pebble Time 2 und Pebble Core“.
So weit so gut. Und dann kommt die Relativitätstheorie.
Da ihr jetzt auf einem Informationsstand mit uns seid, fragt ihr euch sicher, was man nun von den neuen Pebble Wearables halten soll. Das, was nämlich auf den ersten Blick so groß und überraschend erschien, relativiert sich langsam.
Pebble hat also zwei neue Smartwatches eingeführt. Aber kann man wirklich von komplett neuen Devices sprechen, oder sind es eher 2.0 Versionen der bestehenden Smartwatches? Unsere Meinung lautet: Ja und Nein. Die Pebble 2 orientiert sich zwar an der Pebble Original oder auch Pebble Classic genannt, der ersten Smartwatch des Unternehmens. Doch hat sich der Fokus und die Zielgruppe dieser Smartwatch komplett gewandelt.
Die Pebble 2 ist jetzt eine schlanke, leichte, poppig designte Fitness Smartwatch. Der neu hinzugekommene Pulssensor und eine Wasserdichte von 30 Metern als Revolution zu feiern, wäre dann aber doch etwas übertrieben oder? Um diese Frage zu beantworten, muss man sich fragen, mit welchen Wearables die Pebble 2 konkurriert. Sicher nicht mit vollausgestatteten Smartwatches wie der Apple Watch, der LG Watch Urbane, der Samsung Gear S2 oder der Moto 360 2. Es ist glasklar, dass sich die Pebble 2 vor allem an Benutzer richtet, die nicht bereit sind, 150 Euro für einen Fitness-Tracker (ggf. ohne Display) und mit wenig brauchbaren Zusatzfunktionen auszugeben und dennoch einen Begleiter für Sport und Fitness suchen. Also konkurriert die Pebble 2 nun auf einmal mit Fitbit, Garmin, Withings und Co.
Wenn man das bedenkt und eine Einordnung wagt, dann kann man sagen, dass die Pebble 2 für Fitness-Tracker Freunde ein extrem attraktives Wearable sein könnte. Weil…
- … die Pebble 2 alle Sensoren besitzt, die man von einem Fitness-Tracker kennt (Schrittzähler, Pulsmesser, Beschleunigungssensor)
- … die Pebble 2 leicht und deutlich schicker als ein Fitness-Tracker ist UND als Armbanduhr verwendet werden kann
- … Pebble 2016 enorm viel Zeit und Hirnschmalz in die Weiterentwicklung der Pebble Fitness-Funktionen und der Pebble Health App gesteckt hat
- … die Pebble 2 automatisch erkennt, welche Sportart man treibt, 30 Meter wasserdicht ist und mit den gängigen Fitness-Apps wie runkeeper, Strava oder Google Fit gekoppelt werden kann
- … auf der Pebble 2 eine vollwertige Version des Pebble Betriebssystems läuft und daher alle Smartwatch-Funktionen (Timeline, Sprachnachrichten, Watchfaces, 1.300 Pebble Apps) genutzt werden können
- … die Pebble 2 eine Akkulaufzeit von 7 Tagen hat, ein enorm wichtiges Kriterium im Fitness-Tracker-Bereich
- … die Pebble 2 preislich (99 US-Dollar) eine krasse Preisansage für fast alle Hersteller von Fitness-Trackern ist
Und genau so wird es auch kommen. Die Pebble 2 öffnet dem Unternehmen den weitaus größeren Markt der Fitness-Tracker. Den Nachfragern wird das helfen, da das Gerät für diesen Markt eine Weiterentwicklung ist und Pebble erweitert damit seine Zielgruppe und sein Umsatzpotential.
Schwache Vorstellung im Premium-Bereich
Ganz anders sieht das leider bei der Pebble Time 2 aus. Auch hier kann man maximal von einer Pebble Time Steel 2.0 sprechen. Der Fokus liegt, wie bei der Pebble 2, auf dem Fitness-Aspekt. Neu ist der Pulsmesser, der mit der Pebble Health App zusammenarbeitet.
Bisher war die Pebble Time Steel das Premium Wearable aus dem Hause Pebble. Begründet wurde das durch ein Edelstahlgehäuse und nach Wunsch entsprechend hochwertigen Armbändern. Das Gehäuse der Pebble Time 2 gleicht dem des Vorgängermodells. Einziger nennenswerter Vorteil der Pebble Time 2 ist das etwa 50 Prozent größere Display. Die Vergrößerung des Displays ist an und für sich mehr als nötig gewesen. Einen dicken schwarzen Balken um den Bildschirm braucht 2016 wirklich niemand mehr. Aber es wird sicher kein hinreichender Grund für Inhaber der Pebble Time Steel sein, auf das neue Modell umzusteigen.
Innovativ wäre hier die Einführung des Touchscreens gewesen. Das ist bei Pebble aber immer ein schwieriges Thema, denn Touchscreens verbrauchen deutlich mehr Akku als gewöhnliche Bildschirme und damit würde DAS Kaufargument der Pebble Smartwatch wegbrechen. Bisher schafft es keine andere vollwertige Smartwatch auf 10 Tage Akkulaufzeit. Mit einem Touchscreen müsste Pebble auch die Prozessorleistung anpassen und ggf. über das ePaper Display nachdenken. Zwar ist das 64-farbige Display eines der Wiederekennungsmerkmale der Pebble, aber eben auch nicht mehr besonders zeitgemäß.
Die Pebble Time 2 wird ohne Frage eine interessante Smartwatch und 169 US-Dollar für sein Premium-Modell aufzurufen, ist entweder der Griff nach dem rettenden Ast oder eine Kampfansage gegen die gesamte Smartwatch Welt. Liest man die Neuerungen und kennt man den Vorgänger, wirkt sie am Ende leider doch wie eine Mogelpackung. Vielleicht ist das auch der Grund für den niedrigen Preis. Hätte man für die Pebble Time 2 250+ Euro aufgerufen, wäre der Shitstorm sicher nicht vermeidbar gewesen und die Verkommerzialisierung des Crowdfunding-Positivbeispiels überhaupt hätte Pebble noch weiter in Zugzwang gebracht. Daher ist zumindest das Preis-Leistungs-Verhältnis der Pebble Time 2 in Ordnung, auch wenn es sich bei diesem Gerät um die schwächste der drei Neuvorstellungen handelt.
Pebble Core: Wo keine Innovation ist, muss Ablenkung her
Vor dem Hintergrund, dass man mit der Pebble 2 und der Pebble Time 2 technisch betrachtet eher marginal überarbeitete Uhren präsentiert, musste also ein Eyecatcher her. Ein neues Device, das die ganze Aufmerksamkeit zieht und die fehlende Innovationsfreudigkeit im Smartwatch-Bereich verstecken kann. Und da taucht der Pebble Core auf. Gut gespielt, Pebble!
Natürlich haben sich Technik-Portale sowie Massenmedien sofort auf die Box gestürzt, die gar nicht so einfach zu erklären ist. Um Pebble Core zu verstehen, muss man zwei verschiedene Brillen aufsetzen. Zum einen die des Sportlers, der die Pebble Core Box als Smartphone-unabhängiges Device zum Activity-Tracking und zum Musikhören unterwegs nutzen kann. Möglich macht“s ein GPS-Modul, ein Sim-Karten-Slot für 3G/LTE Verbindungen und 4 GB interner Speicher, auf den Spotify Playlists geladen werden können. Pebble Core besitzt außerdem eine konventionelle Kopfhörer-Schnittstelle für Klinkenstecker.
Die durch die Pebble Core Box aufgezeichneten Fitness-Daten werden dann mit dem Smartphone und der Smartwatch synchronisiert, wenn die Geräte wieder in Reichweite sind. Schnittstellen zu den gängigen Fitness-Apps wie runkeeper, Strava oder Google Fit sind geplant.
Aber ist das für den Standard-User ausreichend? Leichte Frage, schwierige Antwort. Käme die Pebble Core Box heute auf den Markt, würde sie weg gehen wie heiße Semmeln. Denn wenn der Smartwatch- und Fitness Tracker Markt eines gezeigt hat, dann dass man nachlässig beim Einbau von GPS- und Mobilfunk-Modulen war. Bisher gibt es eigentlich nur die neu veröffentlichte LG Watch Urbane 2nd Edition LTE (Praxistest folgt in Kürze) als brauchbare Smartwatch mit massenfähigem Betriebssystem, GPS und SIM-Karten-Slot. Spätestens seit der Vorstellung von android wear 2.0 auf der diesjährigen Google I/O ist jedoch die zukünftige Marschroute klar: Ende 2016 wird es wohl keinen Smartwatch-Hersteller mehr geben, der nich über ein Modell nachdenkt, das unabhängig(er) vom Smartphone funktioniert.
Achtet man auf das Lieferdatum der Pebble Core Box (Anfang 2017) fällt auf, dass das Display-lose Wearable mit einer ganzen Menge vollwertiger Smartwatches mit deutlich besserem Funktionsumfang konkurrieren müssen wird. Preislich ist die Box zwar mit unter 100 Euro unschlagbar günstig, viele User werden sich aber dennoch die Frage stellen, ob es sich lohnt ein weiteres Wearable mit sich herumzutragen, das sich noch nicht mal als Uhr nutzen und nicht ums Handgelenk schnallen lässt.
Schaut man sich die Vorbestellungen für die Pebble Core Box auf der Kickstarter-Kamagnenseite an, gewinnt man ebenfalls den Eindruck, dass die potentiellen Käufer etwas skeptisch sind. Von 20.000 verfügbaren Pebble Core Boxen sind bisher knapp 14.000 Units noch übrig – für Pebble kein besonders erfolgreicher Start in eine Crowdfunding-Kampagne. Und da sich mittlerweile auch im Mainstream herumgesprochen hat, dass Crowdfunding und Pebble zusammengehören wie eineiige Zwillinge, kann man nicht mehr auf diese Zielgruppe verzichten.
Wechseln wir die Brille und kommen zum wirklich interessanten Teil der Pebble Core Box. Betrachtet man die Box aus Sicht eines Entwicklers/Programmierers, hat man quasi das ultimative Spielzeug vor sich. Das weiß auch Pebble und promotet die Pebble Core Box als „Hackable“. Das Gerät läuft mit einem offenen android 5.0 Betriebssystem und kann daher von jedem, der Ahnung von Java oder C++ hat, umprogrammiert und erweitert werden. Dafür sorgt Pebble, indem ein Software-Developer-Kit (SDK) vorab veröffentlicht wird.
Man stelle sich also die Möglichkeiten vor, die ein Programmierer mit einer Box hat, die GPS und Mobilfunk beherrscht, über zwei Hardware-Buttons verfügt, mit android läuft und 4 GB internen Speicher sowie Bewegungssensoren hat. Im Stegreif fällt mir ein:
- Nutzung der Pebble Core Box als Autoschlüssel (Kopplung an android Car sowie an die Mobilfunk-Schnittstelle des Autos)
- Pebble Core als Amazon Dash Button (Kopf, der mit einem bestimmten Produkt belegbar ist und bei Auslösen dieses Produkt bestellt, ohne dafür den eigentlichen Bestellprozess zu durchlaufen)
- Pebble Core als Anhänger für den Schulranzen der Kids (Standort-Tracking, Notrufbutton)
- Pebble Core als Steuerzentrale der Home-Steuerung (Programmierung verschiedener Klick-Muster für verschiedene Geräte wie Lampen, Thermostat, Bluetooth-Speaker)
- Taxi/Uber Car rufen mit dem Pebble Core (Ein Klick genügt, der Standort wird übermittelt und der Auftrag wird an einen Fahrer vergeben)
Das ist nur ein Bruchteil der Möglichkeiten, die mit Pebble Core realisierbar sein werden. Während also die Box für den nicht so technisch versierten User eher ein mittelmäßig praktisches Gerät werden könnte, entpuppt sich die Pebble Core Box für Nerds und Entwickler als ultimative Spielwiese. Davon wird auch am Ende Pebble enorm profitieren. Denn wenn die ersten Drittanbieter-Apps für den Pebble Core herauskommen, steht als Plattform immer Pebble im Mittelpunkt, ähnlich wie das bei Apple und dem AppStore ist.
Trotzdem spricht auch hier das Zeitfenster bis zum Retail-Release der Pebble Core Box gegen einen durchschlagenden Erfolg. Die Idee eines universellen, multifunktionalen Open Source Gerätes haben wir jetzt schon öfters gehört und das Thema Smart Home wird auch immer größer. Wenn Pebble Pech hat, kommt ihnen ein großer Hersteller noch 2016 mit einem vergleichbaren Gerät zuvor.
Fazit: Sympathisch reicht nicht mehr aus.
Was Pebble auf dem Tech-Markt so einzigartig macht, ist der durch und durch sympathische Auftritt des Unternehmens. Es ist im Grunde der Gegenentwurf zu Konzernen wie Apple, Google oder Samsung und die Firma gibt sich immer als volksnah. Dieser Imagevorsprung kann schnell darüber hinwegtäuschen, dass Pebble bei der Präsentation der drei neuen Wearables nur das getan hat, was ohnehin auf der Hand lag.
Der Einstieg in den im Vergleich zum Smartwatch-Markt weitaus lukrativeren Fitness-Tracker-Markt ist eine logische Konsequenz der rückläufigen Umsätze des Unternehmens im Jahr 2016. Die Pebble 2 ist trotzdem der heimliche Star des Multiprodukt-Launches. Für unter 100 Euro bekommt der User eine wirklich attraktive Alternative zum „gesichtslosen Fitness-Tracker“ und kann auf ein vollwertiges Pebble OS sowie alle dafür verfügbaren Apps zugreifen.
Den schwächsten Auftritt hat definitiv die Pebble Time 2 hingelegt. Pulsmesser und 50 Prozent größeres Display reichen bei Weitem nicht aus, um mit den Smartwatch Flaggschiffen anderer Hersteller mithalten zu können. Pebble weiß das, deshalb wird das ehemalige Premium Modell der Marke (Pebble Time Steel) jetzt zu einem Preis von 169 US-Dollar verramscht. Das ist gleichzeitig clever und dreist.
Bleibt also noch die Pebble Core Box, auf die ohnehin alle Scheinwerfer gerichtet wurden. Pebble hat sich hier nüchtern angeschaut, welcher der am schnellsten wachsende Markt im Technik-Paradies ist. Da liegt es doch nahe, ein Device zu entwickeln, das perfekt für „The Internet Of Things“ einsetzbar ist. Damit die Pebble Core Box nicht komplett zum Nerd-Spielzeug verkommt, hat man noch einen Deal mit Spotify gemacht und bietet dem Massenmarkt die Möglichkeit, unterwegs und ohne Smartphone Musik zu streamen sowie Bewegungsdaten aufzunehmen. Ob das vor dem Hintergrund, dass der Pebble Core erst Anfang 2017 erscheinen soll, eine gute Strategie ist, wird sich noch herausstellen müssen. Denn die Konkurrenz (Smartwatches mit GPS und 3G/LTE und mehr Devices im Bereich Internet of Things) schläft in der 2. Jahreshälfte 2016 nicht.